ALTWEIBERSOMMER

Ein ganz gewöhnliches Bild draußen vor meinem Fenster, und dennoch ist alles darauf zu sehn: der blaue Himmel, eine schwarze Krähenschnur in der Luft, vergilbte Blätter auf dem Asphalt. Nichts besonderes, und alles in einem: Heim und Heimat, Leben und Sterben, Augenblick und Ewigkeit.

Der Oktober erfreut uns mit einer Schönwetterperiode, die man Altweibersommer nennt. Spinnweben in der Luft. Bekanntlich stammen die fliegenden weißen Fäden von jungen Spinnen, die sich auf solche Art von der Luftbewegung forttragen lassen. Also könnte diese schöne Zeit lieb und gut auch „Jungfrauensommer“ heißen? Aber alte Sagen erzählen, die Göttin Berta, die Schutzgöttin der Spinnerinnen, sei in den Frühjahrsnächten durch das Land gezogen mit ihren Elfen. Berta trug eine Spule in der Hand, und die Elfen wickelten von der Spule immerzu lange Fäden ab und bliesen sie in die Luft. Mit der Zeit verwandelten sich die schöne Göttin und ihre Elfen in hässliche alte Weiber, und die „Bertafädenzeit“ wurde demzufolge „Altweibersommer“ genannt. Wie dem auch sei – es ist eine schöne, poetische Zeit.

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