Ich habe ein gutes Gedächtnis für Daten und Ziffern, Familiennamen und Gedichte. Aber ich vergesse, wovon die Rede war in einem Telefonat von gestern. Nie konnte ich mir die Preise von Waren und Lebensmitteln merken und wusste nie, wieviel Geld in meinem Potremonaie noch geblieben ist. Und noch eine Eigenschaft haftet meinem Gedächtnis an: auf einsamen Spaziergängen, in Alltagsgesprächen oder bei Hausarbeiten kommen mir ununterbrochen Geschehnisse in den Sinn, die durchaus keinen Zusammenhang haben mit der gegenwärtigen Minute.
„Sagen Sie bitte, wie spät ist es?“ fragt mich irgendwer auf der Straße.
„Halb elf“, antworte ich und sehe mein Elternhaus mit dem schönen Vorgärtchen und dem stets reingefegten Hof. Ich höre Mutters Stimme, die uns Gören aufzählt, was wir heute in Haus und Hof zu erledigen haben, bis die Eltern von der Arbeit heimkommen.
„Wer hat eben angerufen?“ fragt mich die Schwester.
„Agnes“, sage ich, und sehe den winterlichen Wald in Archangelsk, die Nördliche Dwina und den riesigen Bauplatz, auf dem wir während des Großen Vaterländischen Krieges gearbeitet und sehnlichst auf den Sieg gewartet haben.
Immerwährend flammen Erinnerungen auf, manche wiederholen sich, manche kommen und gehen, entschwinden spurlos. Der Singsang und der K1ingk1ang in meinen Ohren hört nimmer auf, er wird mit den Jahren sogar stärker. Ich gewöhne mich allmählich an diese Begleittöne und fühle, dass ich mehr und mehr schwerhörig werde. Das Erinnerungsgetöne verfolgt mich ununterbrochen. Vergangenes kommt und geht, ohne Anfang und ohne Ende, bedeutungsvoll und belanglos. Eine Krankheit, von der man nicht genesen kann, und ehrlich gesagt, nicht genesen will…