DAS WEISSE WUNDER

Es hatte lange geregnet. Wolkenzerzaust hing der Himmel über der Stadt. Auf der Wiese blühten die Faulbäume, und es zog mich unwiderstehlich in die Ferne. Die Flussfähre brachte mich hinüber ans linke Irtyschufer, und ich machte mich auf die Suche nach dem duftenden weißen Wunder.

Nah am Ufer erblickte ich eine Waldwiese. In kleinen Gruppen stand das üppige Faulbaumgebüsch, und es schien, jede Gruppe sei eine Familie mit Ahnen, Eltern und Sprösslingen, alle gekleidet in schäumende Blütentracht. Ach wie weiß, wie blendend weiß war der Blütenschaum und wie schwer hingen die knorrigen Zweige herab! Mit den Blüten daran berührten sie das feuchte Wiesengras, als streichelten sie ihm liebevoll das weiche wuschelige Haar.

Abends auf dem Rückweg war die Fähre überfüllt. Die wanderlustigen Städter und Städterinnen schleppten das schäumende weiße Wunder armvollweise mit in ihre Wohnungen. Ich kehrte mit leeren Händen zurück, umweht von duftendem Blütenschnee der Wiesenseite des mächtigen Irtysch, den man heute in unserer Gegend nicht mehr mächtig nennen kann. Der Irtysch sehnt sich nach den kalten Wassern der nördlichen Flüsse. Ob er noch lange warten muss, unser grauer, legendenumwobener Irtysch?