WILLKOMMEN, MAMI

Meine Bettnachbarin im Krankenzimmer war gesundgeschrieben worden, und ihr Bett stand etliche Tage leer. Eines Tages schubste die Krankenschwester ein schüchternes Mädelchen herein, lächelte mir zu und sagte beschwichtigend zu der Kleinen:

„Mit dieser Tante wirst du zusammenwohnen, bis du gesund sein wirst und nach Hause fahren darfst. Am Sonntag warte auf Besuch. Deine Mama hat heute angerufen und hat gesagt, du sollst brav sein, sie komme unbedingt am Sonntag“.

Die Schwester ging, wir blieben allein.

„Wie heißt du denn?“ wollte ich wissen.

„Sonja“, erwiderte die Kleine ernsthaft und begann sofort ihre Spielsachen aus dem Plastbeutelchen herauszuholen: ein Püppchen, ein Häschen, ein Hündchen.

„Das ist Tanja, das ist Saika, und das ist Tschapa“, stellte sie ihre Lieblinge vor.

„Sehr angenehm“, sagte ich lebhaft, um die Kleine  aufzumuntern.

Die weitbekannten Dichterworte „Für Heiterkeit ist unser Planet wenig eingerichtet“ könnte man so umschreiben: „Für Heiterkeit sind die Krankenhäuser wenig eingerichtet“.

Wir waren bemüht, uns nach Möglichkeiten zu unterhalten, erzählten uns Märchen, spielten Rätselraten, sangen Kinderlieder. Sonja kannte auch ganz andere Lieder und sang sie mir mit voller Hingabe vor: Kachowka. Katjuscha. Im Öfchen drin flackert der Brand…

Bald bemerkte ich, dass meine Sonja immer häufiger am Fenster klebte und in den Hof hinausschaute. Ihre Mutter kommt erst am Sonntag, aber Sonja wartete schon jetzt.

„Sonja, komm spielen wir mal wieder mit Tanja, Saika und Tschapa!“ forderte ich die Kleine auf, sie aber tat, als höre sie mich nicht und blieb am Fenster kleben…

Abends besuchten mich Freunde und Bekannten, brachten Früchte, Konfekt und Gebackenes. Ich bewirtete die Nachbarin unaufdringlich. Sie ass mit Vergnügen Kuchen und Brötchen, die Äpfel und Konfekt legte sie in ihr Plastbeutelchen.

„Du isst wohl Konfekt und Äpfel nicht gern?“ fragte ich die Kleine wie nebenbei.

„Nicht…besonders…“ seufzte Sonja und schaute weg.

„Wenn aber ehrlich gesagt?“ bestand ich auf meinem.

„Bald ist Sonntag. Dann kommt Mutti. Ich will ihr und Saschok was schenken!“ gestand Sonja und schaute mich überlegen an. Da hast du´s!

Die Tage vergingen mit allerlei Impfungen, Mixturentrinken, Tablettenschlucken und zwischendurch – kurze Spaziergänge, Essen, Schlafen.

Sonjas Mutter erschien am Sonntag nachmittags.

„Willkommen, Mami!“ schrie Sonja auf, warf sich der Mutter in die Arme, streichelte ihr die Wangen, die Stirn und das Haar. Die Mutter herzte und küsste ihr Kind und fragte immerzu: Wie geht es dir, Liebes? Gell, du hast nicht geweint? Bist doch schon ein großes Mädel.

Sonja erzählte freudig erregt, dass sie den Ärzten gut gehorche, dass sie mit Tante Alwine spielen und zusammen spazieren gehen, und dass sie kein bisschen geweint hätte… Dann holte sie ihre Geschenke hervor und sagte wie eine Erwachsene:

„Das ist für dich und für Saschok“.

Die Mutter wollte ablehnen, sie hatte selbst ein Körbchen voll Leckerbissen mitgebracht, aber Sonja sagte entschieden: „Das ist für dich und für Saschok von mir und Tante Alwine“, und drückte der Mutter das Beutelchen in die Hand.

Zwei Tage über ist Sonja aufgeweckt und gesprächig, am Mittwoch beginnt sie sich zu sehnen – und wieder klebt sie am Fenster, schaut hinaus in den Hof und schweigt…