DIE RACHE

Irinka ist ein schwärmerisches Mädelchen. Sie lebt von Märchen und malt überaus gern. Ihre „Gemälde“ sind Phantasiegebilde mit riesigen Sonnen, lachenden Kindern und drolligen Tierchen. Besonders viele Hasen hüpfen munter auf den Bildern umher, und immer sind die Hasen schlau und flink, nie kann sie der Wolf erhaschen! Damit die Häslein schön satt sind, malt Irinka auf jedes Blatt Papier feuerrote Möhren und knallgrünen Kohl. Manchmal malt sie ganze Seiten voll Regen: Punkte, Punkte, Punkte…

„Warum so viele Punkte?“ will ich wissen.

„Na, es regnet doch so lange!“ pariert Irinka ernst und malt zwischen die Punkte farbenfrohe Regenschirme: für Papi, für Mami, für die Hasen, für das Hündchen Tschapka, das auch zu den liebsten Freunden gehört. Gelegentlich lässt Irinka mehrere Seiten leer. Auf die Frage, warum diese Seiten nicht bemalt sind, antwortet sie überzeugt:

„Das ist der Platz für den vielen Regen, der noch fallen wird“.

Irinka ist gutmütig, aber einmal hat sie dennoch sich „grausam“ gerecht an Tante Ida, weil diese ihr eine Bemerkung gemacht hatte wegen dem vielen Badusan, den die Kleine beim Baden in der Wanne verbraucht hatte. Irinka war tief gekränkt und versteckte sich im Schlafzimmer. Abends konnte sie lange nicht einschlafen und seufzte ein übers andere Mal. Endlich bat sie mich im Flüsterton, ich solle ihr doch bitte das Wörtchen „Pfui“ aufs Papier schreiben, da sie selbst noch nicht schreiben könne. Also zeichnete ich ihr das erwünschte Wort mit Druckbuchstaben vor.

Am nächsten Tag tat Irinka lange heimlich und kicherte leise vor sich hin. Schließlich zeigte sie uns ihr „Werk“. Hoch oben im Bild stand ein Schafbock, der keck herunterkackte auf Tante Ida, und ringsumher kullerten krähenfüßige PFUIs hernieder, begleitet von knüppeldicken Ausrufezeichen.

So hatte Irinka sich gerächt für die Beleidigung, und die Freundschaft zwischen uns war wieder hergestellt.