DIE GRENZE

Vielleicht war es gut, vielleicht auch schlecht, dass unsere Kindheit viel erwachsener war als die Kindheit unserer heutigen Sprößlinge. Mit sechs-sieben Jahren hatten wir Dorfkinder festgestellte Pflichten und mussten nach Kräften mithelfen in Haus und Hof, besonders sommers: Kinder hüten, Enten und Gänse hüten, die Blumen im Vorgarten gießen, die Sommerküche in Ordnung halten, sackvollweise trockene Kuhfladen auf den Straßen sammeln für den Kochherd und anderes mehr.

Ihr seid schon groß und müsst selber wissen, was ihr zu tun und zu lassen habt, sagten gewöhnlich unsere Eltern, wenn wir des öfteren unsere Pflichten vernachlässigten.

Mit allerlei Hausarbeit belastet, waren wir dennoch Kinder geblieben, spielten gern unsere harmlosen Spiele, badeten mit größtem Vergnügen im nahegelegenen Teich, wo das Wasser so warm und sammetweich war, spielten Ball und Blindekuh auf der Bergseite, von wo aus wir einen herrlichen Überblick hatten auf das Dorf und seine Umgebung. Und weil die Spielzeit so knapp bemessen war, ging es um so toller her. Aber in den Ohren klang es: ihr seid schon groß…

Dreizehnjährig hielten wir uns für völlig erwachsen und arbeiteten sommers im Kolchos in der Schülerbrigade.

Ihr seid schon groß und verdient euch selbst das tägliche Brot, lobte uns manchmal der Kolchosvorsitzende, und dies war die höchste Anerkennung, der beste Ansporn, die Grenze der Kindheit schneller zu überschreiten und vollberechtigte Mitglieder der Gesellschaft zu werden.

Wer aber weiß, wo diese Grenze liegt? Und gibt es überhaupt eine Grenze zwischen Kindheit und Erwachsensein?